Möchte man die Malerei von Eva Kaiser charakterisieren, so drängen sich Begriffe wie expressiv, kraftvoll, dynamisch auf. Hermann Nitsch, einer ihrer Lehrmeister, fand in diesem Zusammenhang das schöne Wort „rauschhaft“. Das ist eine zutiefst lebendige, weltliche, sinnenfrohe Kunst. Das hat große inhaltliche Tiefe, ist aber von asketisch, meditativ weit entfernt. Das ist pure Energie, das ist das pure Leben. Wie kann so eine Malerei sakral sein??
Blättert man durch Eva Kaisers Werkkatalog, so finden sich neben rein abstrakten Gemälden parallel dazu entstandene Bilder, die den klassischen Genres der europäischen Malerei in der seit über 100 Jahren bewährten expressionistischen Stilsprache, entsprechen. Die menschliche Figur als Akt spielt hier eine zentrale Rolle, seltener tauchen Landschaften auf. Und ganz selbstverständlich behandelt Eva Kaiser auch sakrale Themen, eine Pietà, eine Verkündigung, immer wieder Kreuzigungen. Das ist eine Bildwelt, um die viele Maler heutzutage einen weiten Bogen machen, oder denen sie sich mit eher unbeholfenen Mitteln zu nähern versuchen. „Durch meine Bilder weht der Geist Gottes“ höre ich manchmal, wenn ich etwas ratlos vor einer Komposition aus wabernden Farbflächen stehe. Solche Erklärungsversuche hat Eva Kaiser nicht nötig. Die große emotionale Kraft, die in ihren Werken steckt, spüren alle, die diese Bilder betrachten, sofort und unmittelbar. Und diese emotionale Kraft überträgt sie nahtlos auf die sakrale Sphäre. In Ihren Kreuzigungsbildern wird die Brutalität des Geschehens durch den mehrschichtigen Farbauftrag, die kraftvollen Pinselstriche, die herunterrinnenden Farbtropfen, geradezu körperlich erfahrbar. Gleichzeitig vermittelt die helle Grundstimmung die Verheißung auf Auferstehung, Erlösung, ohne dass dies explizit ausgesprochen zu werden braucht. Das ganz in Grautönen gehaltene „Via Appia“ bildet hier vielleicht eine Ausnahme, doch oft braucht es genau diese Ausnahme, die die Regel bestätigt. Wo beginnt in der Malerei von Eva Kaiser die sakrale Sphäre, wo endet sie? Wie in vielen Bereichen ihres Werkes verschwimmen die Grenzen. Neben den Bildern, die die klassischen biblischen Themen behandeln, kann man Werke wie „Das Gesetz“ , „Der Sturm“, „Adams Kraft“ oder „Dahinter“ sakral interpretieren, oder vor einem agnostischen Hintergrund allgemein menschlich. Daher ist wahrscheinlich besser im Zusammenhang mit diesen Werken von Transzendenz statt von Sakralität zu sprechen.
Eva Kaiser gibt ihren Bildern mitunter Titel, die offen genug sind, um dem Betrachter viel Spielraum für eigene Interpretationen zu lassen. Das macht eine ganz große Qualität ihrer Kunst aus und fordert von allen, die vor ihren Bildern stehen, eine intensive Auseinandersetzung, die nicht mit einem flüchtigen Blick erledigt sein kann. Dazu kommt, dass die Texte, die sie selber zu ihren Bildern liefert (wenn sie es überhaupt tut) so vieldeutig gehalten sind, dass sie mehr Fragen stellen als beantworten. Und das ist gut so! Für das Monumentalgemälde „Der Gedanke“, das im Museum des Stiftes Klosterneuburg eine ganze Wand füllt, haben wir von Besucherinnen und Besuchern schon 5 bis 6 komplett unterschiedliche Interpretationen geliefert bekommen. Und das Schöne daran: Jede ist in sich und für sich richtig! Kunst betrachten – reflektieren – mit dem eigenen Erfahrungsschatz und der eigenen Gefühlswelt in Einklang bringen, sich selbst und etwas Neues, bis jetzt Unerfahrenes, darin finden. Wer das schafft, in unserer heutigen Zeit, in der die Reizüberflutung immer größer und die Aufmerksamkeitsspanne immer kürzer wird, Menschen dazu zu bringen, der hat schon Großes geleistet!
Kurator Mmag. Wolfgang Huber